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Was ist Förderdiagnostik?

Vorweg: Auch in der Schule wird Diagnostik betrieben. In Klassenarbeiten, aber auch bei der Bewertung der mündlichen Leistungen, wird ermittelt, was der Schüler kann und was nicht, und das Ergebnis wird in einem Zahlenwert - der Note - ausgedrückt, und zum Halbjahr und am Ende des Schuljahrs werden die einzelnen Noten zu einer Zeugnisnote zusammengefasst.
Damit erhält man wichtige Informationen. Der Schüler - und seine Eltern - weiß, "wo er steht". Ihm wird mitgeteilt, in welchem Maß und ob überhaupt er das Klassenziel erreicht hat. Durch den Vergleich mit den Noten, die er in anderen Fächern erhalten hat, kann er bestimmen, in welchen Bereichen er Schwerpunkte legen sollte. - Solche Informationen sind auch für den Lehrer wichtig. Er ermittelt auf diese Weise für die Gesamtheit der Schüler einer Klasse, wie viel von dem Lernstoff, den der Lehrplan vorsieht, bei ihnen überhaupt angekommen ist, und er kann mittels der Noten seine Schüler miteinander vergleichen, leistungsstärkere von schwächeren unterscheiden, bis hin zu denen, die er aussortiert und die die Klasse wiederholen müssen oder sogar auf eine andere Schule wechseln.
Standardisierte Tests - z.B. Intelligenztests, aber auch Rechentests - machen im Prinzip nichts anderes. Auch bei ihnen werden dem Schüler bestimmte Aufgaben gestellt. Es wird registriert, welche er richtig gelöst hat und welche nicht. Dann wird durch den Vergleich mit Testnormen festgestellt, "wo er steht" - in der Regel im Verhältnis zu seinen Altersgenossen oder zu einem Teil davon, z.B. denen, die eine vergleichbare Schule besuchen. Der wesentliche Unterschied solcher Tests zu den Schulnoten liegt in der "Standardisierung": Der Lehrer oder Tester hat keinen Einfluß darauf, welche Aufgaben gestellt werden (z.B. nur solche, die vorher im Unterricht auch behandelt worden sind), sondern alle Schüler, die getestet werden, bekommen dieselben Aufgaben. Und der Vergleich findet nicht bloß in-nerhalb der einzelnen Schulklasse statt (da kann ja der "Glücksfall" eintreten, dass man mit lauter leistungsschwachen Schülern zusammensitzt, und deswegen eine relativ gute Note bekommt, oder umgekehrt - man sitzt mit lauter leistungsstarken Schülern zusammen und bekommt deswegen eine relativ schlechte Note), sondern mit einer sehr großen Zahl von Schülern derselben Jahrgangsstufe. Dadurch sind Zufallseinflüsse weitgehend ausgeschaltet. Der Vergleich der Anzahl richtiger Lösungen des einen Schülers mit der anderer steht auf einer breiteren Basis und ist damit "gerechter".

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Wenn ein Kind zu uns kommt, sind solche Informationen in der Regel längst bekannt. "In der Regel", weil es zunehmend die aus unserer Sicht für die betroffenen Kinder sehr erfreulichen Ausnahmen gibt, wenn nämlich aufmerksame Eltern oder Lehrer frühzeitig, d.h. sobald die ersten Verdachtsmomente in Richtung Rechenschwäche auftauchen, sich darum kümmern, dass in einer fachgerechten Einzelfalldiagnostik dieser Verdacht geklärt wird. - Abgesehen von diesen Ausnahmen ist der Anlaß, aus dem uns Kinder vorgestellt werden, zumeist der, dass ihre Schulnote im Rechnen unterdurchschnittlich ist. Meistens haben sie auch schon alle möglichen Tests - in der Schule selbst, oder bei Psychologen - hinter sich, die die schwachen Rechenleistungen bestätigen. Und wenn das einmal nicht der Fall sein sollte, ist auch nicht viel verloren. Denn glaubt jemand im Ernst, die "Beton-Fünf oder -Sechs" in Mathe würde sich plötzlich als großer Irrtum entpuppen und in Nichts auflösen, bloß weil die Leistungsprobe mit einem standardisierten Verfahren erhoben wird?
Wir sind auch nicht die ersten, die auf die Leistungsunterschiede reagieren, die bei dem Kind festge-stellt worden sind, lange bevor es den Weg zu uns findet. Als erstes haben die Eltern versucht, ihm zu helfen, oft in Zusammenarbeit mit den Lehrern. Vielleicht hat es einen Versuch gegeben, die Probleme des Kindes mit dem Rechnen durch Nachhilfeunterricht zu beheben, oder durch Förderunterricht in der Schule. Bei vielen Kindern, die zunächst Probleme mit dem Rechnen haben, führt das zu hinrei-chenden Lösungen - aber was ist, wenn nicht?
Dann brauchen wir jedenfalls keine solche Diagnostik mehr, die feststellt, dass das Kind Schwierigkeiten im Rechnen hat, oder dass es (viel) weniger richtige Ergebnisse beim Rechnen erzielt als der Durchschnitt der Kinder, die genauso alt sind wie es. Nur solche Beurteilungen ermöglicht aber die herkömmliche Diagnostik mittels standardisierter Tests. Das liegt an dem Prinzip, dass in diesen Ver-fahren lediglich die vom Kind erzielten (richtigen) Ergebnisse ausgezählt und mit den Ergebnissen anderer Kinder verglichen werden. Was soll dabei anderes herauskommen, als eine erneute Bestätigung des Unterschieds zwischen dem Kind, das zu uns kommt, und anderen Kindern?
Aber deswegen kommt es ja!

Unsere Diagnostik muß daher auf etwas ganz anderes zielen. Wir wollen die Frage beantworten, woran es liegt, dass das Kind, das zu uns kommt, immer wieder mehr falsche Ergebnisse erzielt als seine Mit-schüler. Und woran es liegt, dass alle bisherigen Anstrengungen, ihm aus dieser Misere herauszuhel-fen, so wenig gebracht haben. Genauer gesagt: Unsere Diagnostik beurteilt nicht die Lösungen, die das Kind erzielt, nach dem Kriterium ‚richtig' oder ‚falsch' und fasst sie dann zu einem Testwert zusam-men, sondern wir ermitteln die Denkprozesse, die das Kind zu seinen Ergebnissen geführt haben. Denn einerseits führen falsche Lösungsstrategien nicht bei allen Aufgaben zu falschen Lösungen, sondern bei einigen, manchmal recht vielen, auch zu richtigen - man kann also vom richtigen Ergebnis nicht darauf schließen, dass die Lösungsstrategie, die das Kind zu diesem Ergebnis geführt hat, richtig ist. Andererseits hat gerade auch das rechenschwache Kind, wenn es ein falsches Ergebnis ausge-rechnet hat, nicht nur falsch gedacht, sondern in der Regel war einiges, wenn nicht vieles, an seinem Denkprozeß richtig. Es ist daher notwendig, zu ermitteln, welche Denkschritte das Kind richtig gemacht hat, und welche genau zu dem falschen Ergebnis geführt haben. Das geht über das Urteil ‚richtig' oder ‚falsch' (und mehr ermittelt ein standardisierter Test oder eine benotete Klassenarbeit nicht) weit hinaus.
Wir erkunden in unserer Diagnostik, wie das Kind denkt, so dass es im Schulfach Mathematik in solche Schwierigkeiten geraten ist. Wir bestimmen, wo in seinem Denken genau seine Schwächen liegen, und wo es die mathematischen Kompetenzen hat, auf denen eine erfolgreiche Förderung aufbauen kann. Wir ermitteln also sein Potenzial.
Dazu gehört auch, dass wir uns nicht auf die Untersuchung des Rechnens beschränken. Weil wir dar-an interessiert sind, Kinder zu verstehen, glauben wir, dass der emotionale Kontext nicht etwas ist, das beiseite geschoben werden sollte, um das mathematische Denken der Kinder zu studieren. Vielmehr muß beides, da es untrennbar miteinander verbunden ist, studiert werden. Wir wollen also z.B. genauso viel über die Angst des Kindes vor dem Rechnen und die Bedingungen, die diese Angst hervorrufen, wissen, wie über die Rechenstrategien, die das Kind benutzt.
In noch einer weiteren Hinsicht zielt unsere Diagnostik darauf, das Potenzial des Kindes zu erkennen, und nicht bloß seinen aktuellen Leistungsstand. - Da wir nicht nur die Ergebnisse registrieren, die das Kind bei den vorgelegten Aufgaben erzielt, sondern mit ihm über seine Lösungswege diskutieren, können wir ihm auch in der Untersuchung schon Hilfen geben. Sie bestehen z.B. in indirekten Hin-weisen, Vorschlägen, hinführenden Fragen, Demonstrationen der Lösung. Auf diese Weise prüfen wir auch das Entwicklungspotenzial des Kindes: die "Dynamik" seines Intellekts, seine Flexibilität, sein Lernpotenzial, seine Fähigkeit, aus Erfahrungen und Unterstützung Nutzen zu ziehen.

Standardisierte Testverfahren wollen "gerecht" im Sinne von "überparteilich" sein, indem sie alle Kinder möglichst gleich behandeln. Kinder gleich zu behandeln hindert allerdings oft daran, ihre Stärken zu identifizieren.

Unsere Diagnostik verwirklicht "Gerechtigkeit" in einem ganz anderen Sinne. Sie will Partei ergreifen für das einzelne Kind - sie will ihm gerecht werden. Wenn wir die besonderen Kompe-tenzen des Kindes erkannt haben, können wir den Weg skizzieren, auf dem das Kind, das uns als rechenschwach vorgestellt wurde, sich ein wirkliches Verständnis von Mathematik erarbeiten kann, und wir können bestimmen, wie wir ihm auf diesem Weg helfen können.

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